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Kasten Weinaromen Flacon

Ein Kasten Weinaromen oder Wie ich lernte, den Flacon zu lieben

Cassis, Lakritz, Pfeffer: Lässt sich mit Duftfläschchen die eigene Sensorik trainieren?

An jenem Tag stand noch ein bisschen was an, aber das war nicht der einzige Grund, warum wir den Kasten Weinaromen erst einmal zur Seite legten. Aber dazu später. Der erste Eindruck, als wir das kleine Paket auspackten: Das ist aber schön! Eine buchartige Kassette, mit rotem Textilbezug, die Kanten in Schwarz gehalten. Auf dem Cover in schlichten Lettern der Aufdruck „Rotweine. Le Nez du Vin“. Was hat es mit der Kassette auf sich? Wenn man sie aufschlägt, findet man zwölf kleine Fläschchen vor, eingelassen in eine Art samtigen Setzkasten.

Kasten Weinaromen Rotwein typische Düfte
Sieht dufte aus: Kasten mit typischen Rotweinaromen.
Extrakte natürlicher Aromen

Die Inhalte sind vielfach wasserhell, manche sind honigfarben oder sehr dunkel. Und in jedem Flacon befindet sich ein konzentrierter Duft. In diesem Fall handelt es sich um Aromen, die in Rotweinen häufig vorkommen: Brombeere, Rauch, Vanille und dergleichen. Jede der kleinen Flaschen trägt eine Nummer, die allerdings nicht von eins bis zwölf geht, weil diese Sammlung nur einen Ausschnitt aus dem gesamten Aromen-Programm des Verlages (Jean Lenoir) bildet. Dieser hat die Herstellung der Proben im südfranzösischen Grasse in Auftrag gegeben, wo man sich seit Jahrhunderten der Extraktion natürlicher Duftstoffe verschrieben hat.
Erst ein paar Tage später setzen wir uns mit der Duftsammlung an den Tisch. Wahrscheinlich war es doch die Ahnung, dass es schwierig, dass es teils auch frustrierend werden würde, die uns das Experiment ein paar Mal verschieben ließ. Wer kennt nicht die Situation, einem Duft ausgesetzt zu sein, von dem man weiß, dass man ihn kennt, ohne sagen zu können, von welchem Stoff er herrührt! Aber Übung macht den Meister und wir waren nun bereit, uns auch unseren Schwächen zu stellen!

Kasten Weinaromen Flacon
Wie riecht wohl Nummer 40?
Kirsche? Manchmal hadert man mit dem Kasten Weinaromen.

Wir greifen mittenhinein, zu dem Fläschchen mit der Ordnungszahl 29. Das riecht fröhlich, leicht und ein frühlingshaftes Gefühl breitet sich im Gehirn aus. Eine Blume muss es sein. Wir tippen auf Veilchen, zumal Veilchen zu den floralen Noten gehört, die doch hin und wieder in Rotweinen vorkommen: Natürlich hilft das allgemeine Wissen auch immer beim Eingrenzen! Nur einen ganz kurzen Blick werfen wir in den Umschlag des Begleitheftes, damit wir ja nicht schon mehr entdecken, als wir wollen: Richtig! Nummer 29 ist das Veilchen!
Wir nehmen das allerletzte Fläschchen, das einen tiefdunklen und opaken Inhalt aufweist. Das riecht nach Barbecuesoße, nach irgendwas Geräuchertem. Rauch, steht einfach in dem Beiheft. Na ja, klar, es geht um den Geruch und flüssig sind die Inhalte ja alle. Weiter geht’s, Nummer 18. Pflaume, ganz klar. Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Es ist Kirsche. Kirsche? Wir riechen noch einmal. Zwei Mal. Drei Mal. Irgendwann können wir es nachvollziehen, auch wenn es alles andere als nah an dem Geruchsbild ist, das wir im Kopf von einer Kirsche haben. Und um es vorwegzunehmen: Auch bei späterem Riechen an Flacon 18 lagen wir mehrfach daneben. Wir sind keine Parfümeure, aber vielleicht ist das Konzentrieren mancher Aromen einfacher, und das anderer schwieriger? Vielleicht hat es aber auch einfach mit uns zu tun.

Kasten Weinaromen 54 Extrakte Editions Jean Lenoir
Wer die volle Packung bevorzugt: Kasten mit 54 Aromen.
Trüffel ohne Leberwurst

Schwer fanden wir auch Him- und Brombeere zu unterscheiden. Auch hier wieder die Frage, ob es daran liegt, dass wir eben keine echten Beeren unter der Nase haben, sondern eine wasserhelle Flüssigkeit. Mittlerweile haben wir gelernt, uns nicht zu schnell festzulegen, sondern auf den zweiten Duft zu warten, um im Vergleich die Sache besser lösen zu können: Die Brombeere hat eine etwas herbere Note als die hellrote Beere, lernen wir daraus. Und zugegeben, in der Natur ist das durchaus auch so.
Wie riecht eigentlich Trüffel? Wer nicht ständig damit zu tun hat oder das Edelgewächs nur in homöopathischen Dosen aus der Leberwurst kennt (also eigentlich gar nicht), wird dankbar sein, hier einmal das geballte und isolierte Aroma dargeboten zu bekommen.

Aromenvielfalt, in ihre Einzelteile zerlegt

Und das dürfte überhaupt eines der Hauptargumente für einen solchen Kasten sein (den es nicht nur für Rotwein gibt): Immer mal wieder das Gedächtnis aufzufrischen und die Zugriffssicherheit zu erhöhen, indem man einen Geruch isoliert wahrnimmt und in der inneren Bibliothek verankert. Im Wein selbst sind ja immer viele Aromen gleichzeitig vorhanden, aber diese lassen sich eben nur verarbeiten, wenn man mit den einzelnen schon sehr sicher verfährt. Mit solch einem Kasten Weinaromen zu trainieren eignet sich also grundsätzlich für jeden, der sich hin und wieder fragt: Wonach duftet dieser Wein eigentlich? (zur Visualisierung von Weinaromen: Wein ist kein Früchtecocktail)

Kasten Weinaromen Trennschärfe
Aromen im Wein trennscharf zu bestimmen will geübt sein.

Natürlich gibt es noch andere als die zwölf isolierten Aromen, die ein Rotwein bieten kann. Heckenrose, Holunder, feuchtes Laub? Leider Fehlanzeige. Und sicher lässt sich noch besser mit echten Grundsubstanzen arbeiten, zumal dann die Gedächtnis-Verknüpfung noch besser funktionieren dürfte. Aber ein praktisches Helferlein ist der Kasten allemal, unabhängig von der Reifezeit von Erd- und Himbeeren einsetzbar und, ganz nebenbei bemerkt, er eignet sich auch als vergnügliches Gesellschaftsspiel an einem Abend mit Freunden bei einer Flasche Wein!

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