Früher boomten die Pivnice, reine Weinkeller-Siedlungen im Osten Serbiens. Heute liegen sie im Dornröschenschlaf. Einige Winzer versuchen das Ruder rumzureißen.
Was ist ein Winzerdorf? Landläufig versteht man darunter einen Ort, in dem einige Häuser auch Weingüter beherbergen. Anders im ostserbischen Rogljevo. Das eigentliche Dorf, in dem man wohnt und lebt, liegt unten. Und ein Stück höher am Hang liegt ein zweites Dorf. Dort gibt es ausschließlich Weinkeller, sogenannte Pivnice. 300 sollen es einmal gewesen sein, 120 der Gebäude stehen noch. In 20 wird Wein gekeltert, in zehn davon nicht nur für den Eigenbedarf. Doch auch das bekommt man in den meist verlassenen Sträßchen nicht zwangsläufig mit. Vor einem der geduckten Gebäude raucht ein Grill. Erst wenn man in den Keller hineingeht, sieht man im Nebenraum drei Männer in einem fensterlosen Raum an einem Holztisch Fleisch essen und Wein trinken.
Zum Arbeiten errichtet
Winzerin Barbara Radosavljević dagegen versucht, das verbliebene Leben auch nach außen zu tragen. Sie ist stolz auf das Erbe von Rogljevo und hat das Handwerk von ihrem Vater übernommen, wenn auch nur nebenberuflich. „Wenn eine Generation aussetzt, ist wieder eine Pivnica weg.“ Um sich gegen das Vergessen zu stemmen, winzert Barbara nicht nur, sondern bietet auch Führungen und vermietet Gästezimmer. „Das gibt mir Energie,“ sagt sie und man glaubt es ihr gern. Gleichzeitig ist es auch Einsatz in eigener Mission: An mehreren Pivinice prangt ihr Logo mit den drei Goldmünzen.
Keltern nur in der Höhe
Wohnen und Arbeiten räumlich zu trennen war vor allem eine Sicherheitsfrage. Denn wenn der Fluss Timok über die Ufer trat, durfte die wirtschaftliche Grundlage hunderter Winzer nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Oben am Hang waren die Fässer sicher. Von vorne sind die Gebäude leicht zugänglich, nach hinten ragen sie in den Hang hinein. Das Baumaterial, vor allem große Blöcke aus gelbem Sandstein, sorgt einerseits für die Stabilität der ohne Fundament errichteten Gebäude. Außerdem saugt es sich voll Feuchtigkeit und gibt diese nach und nach ab. Dadurch bekommt der Wein das ganze Jahr über die Kühle und Feuchtigkeit, die er braucht. Einzelne Gebäude verfügen über ein zweites Geschoss, das als Übernachtungsmöglichkeit für die Arbeiter im Weinberg diente.
Von der Goldgräberstimmung in den Dornröschenschlaf
Weinbau wird in der Krajina, wie die Gegend um Negotin am Unterlauf der Donau genannt wird, seit Jahrhunderten betrieben. Eine Blütezeit erlebte das Handwerk allerdings in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In Westeuropa wütete die aus Amerika eingeschleppte Reblaus, besonders Frankreich litt und produzierte zeitweise nur noch ein Viertel der vorherigen Mengen. Lieferfähige Märkte mussten erschlossen werden, um den Weindurst der Bevölkerung stillen zu können: In den Weindörfern bei Negotin brummte das Geschäft. Nach und nach lernten die Exportländer mit der Reblaus umzugehen, in der Krajina war die Goldgräberstimmung vorbei. Angesichts der Verwerfungen des 20. Jahrhunderts versanken die Pivinice immer mehr in einen Dornröschenschlaf.
Althergebrachte Methoden
Der Besucher aber bekommt durch die übrig gebliebenen winzigen Betriebe die einmalige Möglichkeit, Weinbau von Anno dazumal zu erleben. In den garagengroßen Kellern dösen die Holzfässer, von technischen Gerätschaften ist kaum etwas zu sehen. Manche haben den Boden mit Beton ausgegossen, Barbara setzt auf gestampften Naturboden. Anhand der Breite der Risse könne sie erkennen, wenn die Luftfeuchtigkeit abnehme. „Damit die Holzfässer nicht ihren Inhalt trinken, schütte ich dann Wasser über sie.“ Der Wein wird auch nicht zwangsläufig in Flaschen abgefüllt: So liegen etwa noch „Rizling“-Holzfässer von 2018 und 2015 auf ein paar dicken Bohlen. Möchte man in der Gaststätte nebenan etwas probieren, füllt die Nebenberufs-Winzerin einfach etwas in eine Buteljka, das für Serbien typische kegelförmige Glasgefäß. Ihr „vino crno“, schwarzer Wein, gefällt: Es ist ein Cabernet Sauvignon, der mit wenig Frucht und viel Struktur aufwartet. Ein im besten Sinne ehrlicher Wein.
Šljivovica als Magenöffner
Betrieben wird die Gaststätte von Goran Jovanović und seiner Frau Goca. Auch sie gehen nicht nur dieser Tätigkeit nach: Ein Gästehaus unten im Dorf, eine Aushilfstätigkeit in der Schule, der Verkauf von Keltertrauben. Und natürlich machen sie auch Wein. Man kann im Pivnica selbst vor der Natursteinwand an einer langen Tafel essen. In der warmen Jahreszeit ist es draußen natürlich noch schöner. Etwas unterhalb des Gebäudes sitzt man in einem etwas windschiefen Pavillon auf rustikalen Bänken. Es sind zwar nur ein paar Meter, aber die sind abschüssig und uneben. Zuallererst wird ein Gläschen Rakija auf den Tisch gestellt. Schnaps wird in Serbien als Magenöffner verstanden. Der Klassiker ist der meist hervorragende Pflaumenbrand Šljivovica. Morgens wird nachgefragt, abends muss man schon ausdrücklich Nein sagen, sollte man keinen wünschen.
20 Pivnice – und ein Gasthaus
Gaststättenbetreiber Goran ist ein Gemütsmensch, nach dem obligatorischen „Izvolite“ – bitte sehr – bleibt er immer noch etwas am Tisch stehen. Fragt, was man vorhat. Erzählt von den Trauben, die er an französische Partner verkauft. Dann geht er den Abhang wieder hinauf und kommt kurze Zeit später mit serbisch-kräftigen Vorspeisen wieder herunter: Schinken, Weißkäse, Speck – und einen Teller mit Tomaten- und Gurkenstücken, die wirklich nach Tomaten und Gurken schmecken. Die Menüfolge – auch das typisch serbisch – ist nichts für Vegetarier. Nach einem Gulasch mit Nudeln stellt Goran noch einen Grillteller mit Steaks, Würstchen und Ćevapćići auf den Tisch. Danach, meint er offensichtlich, ist auch noch für etwas Kuchen Platz. Der Weißwein, den die Jovanovićs keltern, ist eine recht schmackhafte Cuvée aus Riesling und Tamjanika, der kräutrigen autochthonen Rebsorte.
Wo Wolf und Luchs sich gute Nacht sagen
Schon bevor es etwa um halb neun dunkel wird im Sommer, macht sich eine himmlische Ruhe bemerkbar. Auch wenn mal eine Busladung Touristen einfällt, ist diese dann meist wieder weg. Nuss- und Maulbeerbäume, Akazien und natürlich Wein rankt sich um die Häuser, sowohl um die verlassenen als auch die noch genutzten. Autos gibt es allenfalls eine Handvoll, am Wegesrand abgestellt. Und in der schlauchförmigen Plauderhalle inmitten der Pivnice, im Grunde zwei sich gegenüber stehende meterlange Bänke mit einem Dach darüber, ist es schon vor Jahren still geworden.
Der Sternenhimmel prangt phantastisch, trotz der fast prahlerisch das leere Dorf erhellenden Laternen. Einige wilde Tiere wie Wolf oder Wildkatze sollen sich in der Gegend herumtreiben. Tatsächlich rennt an einem späten Nachmittag bei Rajac wenige Meter vor dem Auto etwas über die Straße, das aussieht wie ein Luchs.
Rajac: Noch mehr Pivnice
Ebenfalls im Nachbarort Rajac wird streng zwischen unten und oben, zwischen Wohn- und Winzerdorf unterschieden. Mehr als in Rogljevo kann man hier in zahlreiche offengelassene Pivnice hineinschauen: Große Holzfässer künden hier von der guten alten Zeit, während die Deckenbalken schon aufgegeben haben. Ein bisschen sentimental kann dem Besucher da schon zumute werden. Das Bistro im Dorf heißt lakonisch C’est la Vie. Welch große Stücke die Leute aus dem Unterdorf auf ihre Pivnice legen, zeigt sich allerdings daran, dass sie ihre Toten noch immer hier oben bestatten: Neben kunstvoll behauenen, aber windschiefen Natursteinen aus der Vergangenheit gibt es auch ein paar aktuellere Grabmale.
Weltkulturerbe? Im Prinzip ja!
In Serbien sind die ziemlich einmaligen Weindörfer schon seit 1983 als kulturelles Erbe geschützt. Seit zehn Jahren liegt auch ein Antrag auf Anerkennung als UNESCO-Weltkulturerbe vor. Der Stellenwert der Stätten liest sich in der „vorläufigen Liste“ der UNESCO durchaus verheißungsvoll. Und wo hakt es noch? „Die touristische Infrastruktur muss verbessert werden“, sagt Barbara. Zum Beispiel Wasser- und Stromversorgung. Auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) versucht, die „Voraussetzungen für die Entwicklung eines wettbewerbsfähigen Tourismusangebots in der Region ‚Serbia Lower Danube‘“ zu verbessern. Dabei werden auch ganz konkrete Tipps gegeben. „Etwa zur Wahl der Bettwäsche“, sagt Mick O’Connor vom Weingut Raj. Die Unterkünfte sind bisher eher einfach.
Neues Weingut 1: Raj
Mick O’Connor ist Brite und verliebte sich 1984 bei einer Tramp-Tour durch Osteuropa in eine Serbin aus der Gegend. Irgendwann war es aus, aber nach fast 20 Jahren fanden er und Beka sich wieder und heirateten. Beide lieben Rajac und ließen sich irgendwann auf das Abenteuer ein, ein kleines Weingut zu erwerben. Ein Name war schnell gefunden: Raj. Das erinnert an Rajac, gleichzeitig bedeutet es im Serbischen Paradies. Deutlich langwieriger gestaltete sich der Kauf des verwaisten Wunschobjekts. Nachdem eine Erbin gefunden war, musste diese zunächst ihre Ansprüche auf Rückübertragung des einst im Sozialismus enteigneten Anwesens gegenüber dem Staat geltend machen, bevor sie es verkaufen konnte. Endlich konnte die Renovierung beginnen. Diese ist noch nicht ganz abgeschlossen, aber Wein lässt das internationale Paar schon seit Jahren von einem angestellten Kellermeister nach modernen Verfahren keltern. Das schmeckt deutlich zeitgemäßer als die etwas rustikalen Weine aus den historischen Pivnice. Besonders der weiße Tamjanika mit seinen herb-fruchtigen und kräutrigen Aromen sowie einer leicht zitrischen Note ist klasse, insbesondere als Essensbegleiter. Das Potential der Region ist noch da, man muss es aber neu erfinden.
Neues Weingut 2: Matalj
Ebenfalls auf die Kraft der Erneuerung setzt das deutlich größere Familienweingut Matalj. Das nagelneue Gebäude thront hoch über der Stadt Negotin. Aus dem atemberaubenden Verkostungsraum schweift der Blick bis zur Donau, an der die Grenze zu Rumänien und Bulgarien verläuft. Nicht nur die internationalen Blockbuster-Rebsorten bekommt das Weingut, das ebenfalls auf einen erfahrenen Önologen setzt, sehr gut hin. Auch Rückbesinnung auf seltene autochthone Rebsorten hat sich Matalj – ein Spitzname der Familie – auf die Fahnen geschrieben.
Etwa die Bagrina, die laut Nikola Mladenović nicht selbstbestäubend ist, was die Erträge höchst unsicher macht. „Es muss genau zur selben Zeit eine andere Rebsorte blühen.“ Deshalb hätten sie fast alle Winzer gerodet. Schade, denn die Diva hat es in sich: In der Nase erst einmal verhalten, duftet sie nach dem Schwenken leicht nach Ginster und Macchia. Am Gaumen geht dann plötzlich viel mehr: aromatische Pomelo, vibrierende Säure und Mineralität, tiefgründige phenolische Noten.
Zweite Blüte im Inland?
Gerade einmal 1500 Flaschen füllt Matalj davon im Jahr: „Zu wenig angesichts der Nachfrage.“ Aber offensichtlich lohnen sich die Anstrengungen, an die blühende Wein-Vergangenheit mit neuen Methoden anzuknüpfen. Seit drei Jahren darf das Anbaugebiet Negotinska Krajina sich außerdem mit der angesehenen Bezeichnung des Geschützten Ursprungs schmücken.
„Die Neugierde gerade der jüngeren Menschen in Serbien nach neuen einheimischen Weinen ist sehr groß“, sagt Nikola. Export interessiere ihn daher kaum. Vielleicht liegt im Unterschied zum 19. Jahrhundert der Schlüssel zu einer zweiten Blüte tatsächlich um die Ecke? Wünschenswert wäre das natürlich. Wer allerdings neugierig ist, was sich im serbischen Weinbau tut, muss schon selbst vorbeischauen. Nach Deutschland verirren sich nämlich nur wenige Flaschen!
Ein Kommentar
Sehr schöne Blogeintrag, habe genossen in zu lesen. Ich bin Serbien und bei jeden Urlaub in meinem Heimatland mache ich Endeckungstouren und finde immer neue, tolle Weine…ein echte Genuss. Grüße von eine Serbien.