Das Buch „Der Geschmack von Holz“ geht auch der Frage nach, ob man Holz essen kann. Doch die zahlreichen Wechselwirkungen von Holz mit Speisen und Getränken sind am Ende wichtiger.
Wussten Sie eigentlich, dass Whisky seinen Geschmack von Holz bezieht? Trotzdem wurde er jahrhundertelang nur weiß getrunken. Also nicht in der bernsteinfarbenen, vom Fass geprägten Form, wie wir ihn heute lieben und schätzen. Den Durchbruch zu in Eichenholz gereiftem Whisky brachte nicht etwa der Markt, sondern der Staat: 1915 erließ die britische Regierung im Schwange der Abstinenzbewegung die Vorschrift, dass Whisky vor dem Verkauf drei Jahre im Fass lagern musste. Die Hoffnung, dass die Destillen durch diesen Kniff pleitegehen würden, erfüllte sich indes nicht. Stattdessen kennt man seither Whisky nur noch in dieser gereiften Variante.
Zahlreiche Kapitel des Buches „Der Geschmack von Holz“ lassen sich als Antworten auf die Frage „Wussten Sie eigentlich“ lesen. Mit anderen Worten: Der Autor Artur Cisar-Erlach präsentiert in vielen Fällen keine neuen Erkenntnisse, sondern ordnet verstreutes Wissen unter einem Thema an. Das ist durchaus eine Leistung, denn die geschmacklichen Auswirkungen von Holz sind wohl bisher kaum in dieser Bandbreite dargestellt worden. Die Frage, wie sich Wein im Kontakt mit Holz oder Pizza im Holzofen verändert, wird umgekehrt gestellt: Wie wirkt sich Holz auf Wein, Whisky, Rum, Käse, Pizza und so fort aus.
Was macht das Holz mit dem Essig?
Dabei gibt es für den Leser sicherlich überraschende Einsichten. Etwa dass Balsamico-Essig aus Modena je nach Holzsorte des Fasses anders schmeckt, auch wenn die Fässer uralt sind. Die Gründe dafür vermutet der Autor in unterschiedlichen mikrobiologischen Prozessen, die bei jeder Wiederbefüllung einfach weiterlaufen. Wer hier empirische Nachweise möchte, wird leer ausgehen. Auch wo Experimente angestellt werden – etwa ob Teakholz zerkleinert oder destilliert besser schmeckt –, geht es doch immer mehr um sensorische Erfahrungen als um naturwissenschaftliche Einsichten. Das geht auch völlig in Ordnung, schließlich verspricht der Titel auch nichts anderes.
Die Euphorie, mit der der Autor ans Werk geht, und mit großem Einsatz immer neuen, vom Holz geprägten sensorischen Eindrücken hinterherrennt, wirkt ansteckend. Wie schmeckt Clairin, eine haitianischer Rum, bei dem zunächst wilder Zuckerrohrsaft in Gefäßen aus Mangoholz vergoren wird? Oder der kenianische Joghurt, dem etwas feingeriebenes, verkohltes Holz des Cromwo-Baums beigegeben wird? Der durchgehende Plauderton („Dank dem Koffein und einem cornetto stieg mein Blutzucker schnell auf das nötige Niveau, um mich endlich in die Käsemesse zu stürzen, auf die ich schon so lange gewartet hatte“) verstärkt die sensorische Abenteuerlust eher noch.
Wein ist nicht Kernkompetenz
Der Autor hat sich ein Thema zur Aufgabe gemacht, was nicht heißt, dass er alle damit verbundenen Themen perfekt beherrschen würde – das Thema Wein etwa. Den voll und ganz zeitgemäßen Ansatz Michael Graf Goëss-Enzenbergs vom Weingut Manincor, dass man „den überragenden Geschmack seiner Trauben schmecken soll und nicht das Holz des Fasses“, ist für den Autor eine „leichte Überraschung“. Auch wenn es heißt, „das farblose Rebwasser, das im Frühjahr aus den Schnittstellen tropft, die dem Weinstock während der Beschneidung im Spätherbst zugefügt werden“, wird klar, dass der Wein nicht Cisar-Erlachs Spezialgebiet ist. Daraus macht er allerdings auch keinen Hehl und es stört die Lektüre nicht tiefgreifend.
Während der Spätherbst die falsche Jahreszeit für diesen Arbeitsschritt ist, weiß man bei dem Wort Beschneidung nicht genau, ob es vielleicht an der Übersetzung liegt – das Buch ist im Original auf Englisch erschienen. So ist auch einmal von Verköstigung die Rede ist und einmal von Verkostung – obwohl beide Male letzteres gemeint ist. Dass Autor, Übersetzer oder Lektor einmal den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen hat, wirkt dagegen erheiternd: „In einigen Fällen, so versicherte mir Gargano, könne der Einfluss des Fasses auf das Holz mehr als 80 Prozent betragen – das wäre eine nahezu reine Holzessenz.“ In der Tat!
Wie ist der Geschmack von Holz selbst?
Neben der Wechselwirkung von Holz, Lebensmitteln und Getränken geht es aber auch um den Verzehr von Teilen des Baumes selbst. Vielleicht nicht so spektakulär ist die Einsicht, dass Tee von klein gehaltenen Bäumen gewonnen wird. Dass Ahornsirup ein Baumprodukt ist, dürfte den meisten wohl bewusst sein, nicht unbedingt aber die Bedingungen, unter denen er gewonnen und veredelt wird. Dass man aus Latschenkiefernnadeln recht leicht ein Pesto herstellen kann, dass Kambium (die Schicht zwischen Rinde und Hartholz) besonders von der Birke und besonders frittiert gut schmeckt – hätten Sie’s gewusst? Und auch das Birkenwasser, das der Autor aus einem angeschnittenen Baum herauslässt, macht neugierig.
Und lässt sich tatsächliches Holz – also nicht nur Blätter, Kambium, Nadeln –auch essen? Der Autor sagt ja. So mischt er etwas feingemahlenes Buchen- oder Kiefernholz einem Brotteig bei. Und in Sachen reines Holz wird Cisar-Erlach am Ende auch noch fündig: ein leicht zerfallendes, behandeltes und eingelegtes aus Argentinien, das auch nur dort erhältlich ist. Bei einem Buch mit dem Titel „Der Geschmack von Holz“ musste das wohl noch sein. Aber eigentlich reichen all die vorher dargestellten geschmacklichen Variationen, die das Naturprodukt ausübt, als Lesegrund vollkommen aus.
Kein Beitrag zum Waldsterben
Und dieser Geschmack, den das Holz und die anderen Teile des Baumes bei vielen Lebensmitteln und (vor allem alkoholischen) Getränken mitprägen, ist unbedingt ein Buch wert. Die Vielfalt der Bäume nicht nur, aber eben auch in kulinarischer Hinsicht darzustellen, ist eine gute Idee. Dass Menschen schon immer Baumbestandteile für die Verfeinerung von Speisen und Getränken benutzt haben, ist eine Sache. Ein Bewusstsein über die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten und der Aromen herzustellen, eine andere. Diesem Auftrag wird das Buch auf jeden Fall gerecht. Doch ist es nicht kontraproduktiv in einer Zeit, in der immer mehr Bäume verschwinden? Nein, denn mit ihrer Wertschätzung steigt auch der Wunsch, sie zu pflanzen und zu schützen.
(hier geht’s zum Interview mit dem Autor)
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Artur Cisar-Erlach: Der Geschmack von Holz. München 2020. 22 Euro.