Wer Grauburgunder nur in seiner konventionellen Ausführung kennt, ist beim Anblick der rötlichen Trauben überrascht. Doch Grauburgunder wird rot auch im Glas – wenn man ihn lässt.
Die meisten Menschen würden Grauburgunder im Weinberg wohl nicht erkennen. Denn die Trauben sind rötlich-violett, während der Sortenname eine ganz andere Idee vermittelt. Und die meisten Weine, die aus den Trauben gekeltert werden, gehen natürlich auch ins Graugelbe. Doch der Grauburgunder wird rot, wenn man ihn lässt.
Genau genommen, wenn man ihn eine Weile auf der Maische lässt, also die Schalen nicht sofort vom Saft trennt. Dann passiert das, was auch bei Rosé und natürlich bei Rotwein geschieht: Ein Teil der Pigmente aus der Traubenschale geht in den Wein. Viele Rotweinsorten haben auch weißes Fruchtfleisch und geben nur durch Schalenkontakt ihre Farbe an den Wein ab.
Dass der Grauburgunder rot wird, sieht man nicht bei vielen Winzern. Weil man ein anderes Konzept von ihm hat und solch ein Wein erklärungsbedürftig ist? Bei der Qualitätsweinprüfung soll zumindest keiner mehr rot werden, wenn ein Grauburgunder angestellt wird, der ein bisschen Farbe bekommen hat.
Grauburgunder wird rot: Hübsch sieht das auf jeden Fall aus. Aber schmeckt es auch? Hier kommen vier recht unterschiedliche Beispiele.
Rheinhessen
Simone Adams aus dem rheinhessischen Ingelheim hat schon seit einiger Zeit einen Grauburgunder im Programm, bei dem die Farbe aus den Schalen in den Wein gehen durfte. Nach ihrer ehemaligen Nomenklatur hieß das Ergebnis „Kaliber 19“. Mittlerweile, da sie der Herkunft der Trauben mehr Tribut zollen möchte, lautet der Name deutlich weniger knallig Ingelheim Grauburgunder.
Der 2022er schimmert rötlich lachsfarben im Glas und duftet nach Zitronenschale und rotem Apfel. Nimmt man einen Schluck, ist da viel angenehme Frucht, insbesondere Birne. Angenehmer Schmelz, durch eine schöne Säure gepuffert, langanhaltend. Bei diesem Grauburgunder wird rot, wer die Sorte sonst als langweilig bezeichnet.
Slowakei
Längerer Schalenkontakt ist natürlich auch ein Markenzeichen sogenannter Naturwein-Winzer. Bei diesem Exemplar ahnt man schon an der Aufmachung, dass es sich um einen solchen handelt: Weißglas, keine Kapsel, peppiges Etikett, sichtbare Schwebeteilchen im Wein. Hagebuttenfarben und mit rubinroten Reflexen fließt der 2022er „Sandwich Pinot Gris“ vom slowakischen Weingut Mátyás ins Glas. Es duftet nach Sommerregen, Hibiskus, Birne, geschwenkt außerdem appetitanregend nach roter Pflaume und warmem Sandstein. Am Gaumen ist das saftig-schlank bei übrigens überschaubaren 10,5 Prozent Alkohol. Es schmeckt nach Hagebutte, rotem Apfel und Pflaume, der Wein hat eine lebendige Säure und etwas Gerbstoff. Kalkig-kreidiger Eindruck, experimentell, ein anderes, unverfälschtes Erlebnis von Wein.
Baden
In einer sehr adretten Aufmachung dagegen präsentiert sich dieser Grauburgunder in Rot: Graues B, Famose Schose à la Pink. Das Ganze ist eher als Essensbegleiter konzipiert und kommt vom für roséfarbene Weine bekannten Weinhaus Schumann in Baden. Der 2019er duftet nach reifer Birne und mazerierter Erdbeere. Etwas wild, mit vegetabilen Tönen und zarten Röstnoten. Am Gaumen Struktur, schöner Körper, gepuffert mit einer lebendigen Säure im Abgang.
Der Grauburgunder wird rot, aber das Frontetikett schweigt sich darüber aus – so überrascht man vielleicht sonst skeptische Käufer? Wie auch immer, die Famose Schose ist eine weitere interessante Interpretation des gar nicht grauen Grauburgunders.
Rheingau
Der Wein namens Red Sunshine gehört schon fest zum Inventar des Rheingau-Weinguts Walter Klepper. Es gibt ihn in verschiedenen Variationen, auch wenn das Frontetikett immer ähnlich aussieht. Jungwinzer Tobias Klepper baut verschiedene Jahrgänge aus, aber bisweilen verschneidet er auch fünf Jahrgänge des rötlichen Grauburgunders miteinander und nennt das Ganze Red Sunshine 5.0
Die Cuvée aus den Jahrgängen 2014 bis 2018 leuchtete zum Zeitpunkt der Verkostung, die schon etwas zurückliegt, hagebuttenrot mit hellroten Reflexen. Der fünffache Grauburgunder duftete nach Karamell, gerösteten Nüssen, Teesatz, Kakao, Tabak, Pfirsich, Birne und zart rauchig. Geschwenkt außerdem herbes Kernobst, Kräuter und Rinde. Am Gaumen dann fruchtige Aromen von Pflaume, Birne, Sauerkirsche, Traube, Zitronenzeste, herbem Apfel. Außerdem eine leichte Würze, leicht nussige Noten bei einer ausbalancierten Säure und feinem, gut integriertem Gerbstoff. Angenehmes Mundgefühl, runder, ausgeruhter, stimmiger Wein.
Grauburgunder wird rot: Na und?
Fazit: Niemand muss rot werden, wenn er einen farbenfrohen Grauburgunder vorgesetzt bekommt. Vielmehr kann man es nur begrüßen, wenn diese Rebsorte nicht nur nach Schema F verarbeitet wird. Etwas mehr Farbe, etwas mehr Phenole aus der Schale, etwas mehr Überraschungspotential. Der Grauburgunder wird rot? Probieren Sie ihn mal!
