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Jens Priewe Wein Die große Schule Daniel Deckers Wein Geschichte und Genuss
Weinbücher Priewe Wein Die große Schule Deckers Wein Geschichte und Genuss
„Wein“ lautet der übergeordnete Titel beider Neuerscheinungen. Und doch sind die Bände grundverschieden.

Der Herbst bringt wieder einige neue Weinbücher. Wir stellen zwei davon vor.

Das erste der beiden Weinbücher ist ein neu-alter Bekannter: Jens Priewe, Wein, Die große Schule. Der Klassiker ist überarbeitet worden, firmiert nun wieder als Erste Auflage und kostet 29, 80 Euro. Kurioserweise hieß der in mehreren Auflagen erschienene Vorgänger Die neue große Schule.

Das Werk kommt im Bildband-Format und 312 Seiten daher. Beim ersten Durchblättern besticht, dass der Text durch übersichtliche Kapitel, Zwischenüberschriften und ausreichend Zeilenabstand zum Lesen einlädt. Dies wird verstärkt durch die zahlreichen Infokästen, informativ aufbereitete Karten sowie ansprechende Fotografien. Sicherlich werden die meisten Leser den Band als Nachschlagewerk nutzen. Denn tatsächlich hat Die große Schule etwas Enzyklopädisches: Weinbereitung, Rebsorten und natürlich Anbaugebiete lassen sich genauso selektiv studieren wie praktische Fragen (Gläser, Trinktemperatur, Speisen und Wein), neue Trends wie Naturwein oder alte, sich wandelnde Fragen nach den idealen Klimazonen. Schön und sinnvoll ist sicherlich auch, dass der schwergewichtige Band auf den ersten Seiten mit ein paar Teasern daherkommt, die den Einstieg auch für Novizen erleichtern („Braucht Wein unbedingt Alkohol? Gibt es gute Weine beim Discounter?“).

„Gott, Gold und der Garten Eden“
Weinbücher Reben Piemont Herbst
Für manche auch ein Garten Eden: Reben im Piemont.

Die Kapitel sind meist ausreichend ausführlich, um einen soliden ersten Überblick zu verschaffen, formulieren verständlich und kommen mit wenig Fachausdrücken aus. So werden nicht nur diejenigen angesprochen, die sich ohnehin schon bestens auskennen. Ansprechende, manchmal durchaus marketing-orientierte Überschriften (etwa „Gott, Gold und der Garten Eden“ beim kalifornischen Wein) dienen dem Zweck, auch beim Blättern durch das Buch die Aufmerksamkeit zu erhaschen.

Manchmal weiß der Leser nicht genau, ob es an der relativen Kürze der Informationspäckchen liegt, dass etwas offen oder unklar bleibt. „White Zinfandel… ist keine Rebsorte, sondern ein (meistens) lieblicher Wein aus Zinfandel-Trauben. Er kann weiß sein oder leicht rötlich schimmern“, heißt es etwa in einem Infokasten. Doch wird er abgepresst, per Saftabzug oder im Saignée-Verfahren hergestellt? Noch verwirrender wirkt die Begründung für die zwischenzeitliche Talfahrt des „Weinbooms im Garten Eden“ (Kalifornien) durch die Reblaus: „Vermutlich war das Insekt durch Stecklinge nach Amerika gelangt.“ Die Reblaus stammt allerdings aus Amerika selbst und richtete durch ihren ‚Export‘ nach Europa verheerende Schäden an, während die amerikanischen Rebsorten dagegen resistent sind. Entstand der Schaden also, weil man europäische Reben importierte, die dem schon vorhandenen Schädling schutzlos ausgeliefert waren? Oder existierte die Reblaus etwa nur an der Ostküste Amerikas und wurde per Umweg über Europa an die Westküste gebracht? Hier klingt es jedenfalls so, als stamme der Schädling aus Europa.

Enzyklopädische Weinbücher als redaktionelle Herausforderung
Weinbücher Geschützte Ursprungsbezeichnung Arbois
Ein Wein aus Arbois, einer Appelation d’Origine Protégée, zu Deutsch Geschützte Ursprungsbezeichnung.

Das Weinrecht Frankreichs wird in einem Infokasten als pyramidal beschrieben. Die sechs Bezeichnungen, die darauf folgen, haben aber mit dem dreistufigen, in der ganzen Europäischen Union gültigen System nur teilweise etwas zu tun. Dieses ist bereits seit geraumer Zeit, nämlich seit 2009 in Kraft. Entsprechend ist die im Glossar angekündigte Änderung, dass „Qualitätsweine bestimmter Anbaugebiete in der EU künftig nur als Wein mit geschützter Ursprungsbezeichnung (g.U.) bezeichnet“ werden, längst gesetzliche Realität, auch wenn die Umstellung auf den Etiketten hier und da schwer fällt.

Grundsätzlich toll sind die geographischen Karten mit Rebflächen und Weingütern. Natürlich kann man nicht alles aufnehmen und nicht alles begründen; trotzdem fragt man sich etwa, warum im Chianti-Classico-Gebiet unter den „bekannten Erzeugern“ bei Panzano Le Fonti genannt wird, nicht aber Panzanello; bei Castelnuovo Berardenga Chigi Saraceno (wovon wir noch nie gehört haben), nicht aber Losi Querciavalle. Vielleicht wäre es nachvollziehbarer gewesen, einfach von einer persönlichen Auswahl zu sprechen. Auch eine Karte auf einer Doppelseite zu Weinbau in Kanada wird erst allmählich klar. Während es im Text zunächst um Anbaugebiete in der Provinz Ontario und erst später um solche in British Columbia geht, zeigt die Karte ohne Überschrift nur letzteres Gebiet. Die kanadische Geographie hat aber vermutlich nicht jeder so gut auf dem Schirm, als dass gleich alles klar wäre.

Weinbücher Priewe Wein Die große Schule Rebsorten
Auch zu Rebsorten erfährt der Leser der „Großen Schule“ einiges.

Wein, Die große Schule, ist ein opulenter Band, den man sich gerne ins Regal stellt, in dem zu blättern Spaß macht und sich zu vielen Fragen gezielt nachschlagen lässt. Das Zusammenspiel von Text, Infokästen, Karten und Bildern ist einerseits betörend, andererseits aber auch eine große redaktionelle Herausforderung, die man an einigen Stellen spürt.

Der uralte Terroir-Gedanke
Weinbücher Terroir Moulin à Vent
Terroir, das ist das Zusammenspiel aus Klima, Boden, Rebsorte, Winzer. Daher wird etwa der Gamay in Moulin à Vent so, wie er nur hier wird.

Das zweite der Weinbücher kommt eher als Büchlein daher: Daniel Deckers, Wein, Geschichte und Genuss (128 Seiten, 9,95 Euro). Hier wird kompakt die Geschichte des Weinbaus und –konsums dargestellt. Auch wer meint, die Historie des Rebensafts zu kennen, wird sicherlich dazulernen. So zeigt Deckers etwa, dass der Terroir-Gedanke keineswegs eine französische Erfindung von heute ist, sondern dass bereits Plinius der Ältere im 1. Jahrhundert nach Christus behauptete, „dass das Herkunftsland und der Boden von Einfluss sind und dass der gleiche Weinstock an einem anderen Standort auch andere Kraft hat“. Plinius als den ersten „terroirist“ zu bezeichnen wirkt dabei vielleicht etwas aufgesetzt angesichts einer insgesamt recht akademischen Sprache. Das ist per se natürlich kein Nachteil, auch wenn manche Formulierung doch sehr gebildet daherkommt („Werner Hofmann hat die qualitative Differenz des jüdischen und des griechischen Umgangs mit Wein auf die einfache Formel von „Metapher versus Metamorphose“ gebracht“). Überhaupt muss man schon auch Daten und Fakten verdauen wollen und etwas Vorstellungsvermögen mitbringen: Wo genau verlaufen die „Randzonen jenes fruchtbaren Halbmonds, der sich von Zentralasien bis an die Mittelmeerküste erstreckt“? Ohne Abbildungen ist das so eine Sache.

Weinbücher Weinbau Libanon Bekaa Ebene Römer Kelter antik
An den „Randzonen jenes fruchtbaren Halbmonds“ gelegen? Reste einer römischen Kelter im Libanon.

Deckers befasst sich nicht nur mit Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch mit der Zukunft. So wirft er die Frage auf, ob das auch als Genschere bezeichnete Crispr-Cas9-Verfahren bald auch für Reben Anwendung finden könnte, etwa um „Krankheitsresistenzen von amerikanischen auf europäische Rebsorten zu übertragen. Weil anders als in der konventionellen Gentechnik keine artfremden Gene eingeführt würden, handele es sich bei solchen Pflanzen auch nicht um genveränderte Sorten im herkömmlichen Sinne.“ Wie auch immer man inhaltlich dazu steht – hier wird eine Verbindung gezogen zwischen Wein und Genforschung, die man nicht überall zu lesen bekommt.

Wein als Kulturgeschichte

Ansonsten geht es dem Autor um die soziale Komponente des Weins, die er am Ende so zusammenfasst: „Am Beginn des 21. Jahrhunderts hat Wein die meisten seiner vielen Funktionen verloren, die er seit seiner ‚Kreation‘ vor rund 8000 Jahren erfüllt hatte. Er ist kein Grundnahrungsmittel mehr, kein Heilmittel, keine religiöse (von der kultischen Bedeutung im Juden- und Christentum abgesehen) Opfergabe, ja nicht einmal mehr ein Alltagsgetränk. Erhalten haben sich die Funktion bestimmter Weine als Statussymbol und der Habitus des Weintrinkens als Distinktionsmerkmal. Doch viele Zeitgenossen finden im Wein vor allem eine Quelle zweckfreien Genusses, heiterer Geselligkeit und purer Freude am Leben.“

Weinbücher Weinregal
Wein, eine „Quelle zweckfreien Genusses“?

Der Band bietet einen kompakten, spannenden Überblick über die Geschichte des Weinbaus von den Anfängen bis in die Gegenwart. Dass dessen wirtschaftliche und soziale Bedingungen dabei – vor allem in Bezug auf Deutschland und Frankreich, aber keinesfalls auf diese beschränkt – immer im Blick behalten werden, rückt die Darstellung in die Nähe zur Kulturgeschichte. Die akademisch geprägte Sprache erfordert Konzentration, kommt dafür aber auch präzise daher – trotzdem würde hier und da ein einfacherer Satzbau erfrischen. Das Inhaltsverzeichnis bietet nur eine grobe Orientierung, ein Register fehlt leider.

(weitere Weinbücher werden hier besprochen: Neue Bücher zum Wein)

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