Feiern und Wunden lecken
1716 – diese Jahreszahl prangt in allen Kellereien im berühmten toskanischen Chianti-Gebiet, denn es gibt etwas zu feiern: 300 Jahre Chianti Classico. Festgemacht wird das Jubiläum am Dekret des Großherzogs der Toskana, Cosimo III. von Medici: Nur ein bestimmter Teil der Region sollte den auch damals bereits international geschätzten Chianti herstellen dürfen, um die mit ihm verbundene Qualität gewährleisten zu können. Nicht nur ein Weintyp feiert Jubiläum, sondern auch die Idee, diesen rechtlich zu schützen. Cosimo hatte das erfunden, was das heutige EU-Weinrecht mit dem Begriff der Geschützten Ursprungsbezeichnung fasst.
300 Jahre Chianti Classico – oder Chianti?
Bei allem Stolz der Winzer und des Verbandes (Consorzio Vino Chianti Classico) auf die eigene Leistung sind jedoch die Selbstzweifel nicht zu übersehen: Es läuft nicht so gut, wie man es sich wünscht. Als ein Grund wird immer die unglückliche Tatsache genannt, dass Anfang des 20. Jahrhunderts genau das gemacht wurde, was Cosimo verhindern wollte: Auch in anderen Landstrichen der Toskana wurde die Produktion von Wein zugelassen, der den Namen Chianti tragen durfte und der als meist billiger und einfacher Wein einen recht hohen Bekanntheitsgrad erlangte – das Markenimage war ramponiert. Zwar grenzte man sich davon ab, indem man das „echte“ Produkt fortan Chianti Classico nannte. Aber wie soll man diese Feinheiten in der ohnehin komplizierten Weinwelt dem Verbraucher verständlich machen? (siehe auch Weinlese im Chianti Classico)
Kulturelle Selbstvergewisserung
Der Ort der Festveranstaltung, der Palazzo Vecchio in Florenz, war auf jeden Fall zur kulturellen Selbstvergewisserung geeignet. Der prachtvolle Saal der Fünfhundert sekundierte beim Postulat, dass man etwas Unverwechselbares mit einer langen Geschichte zu bieten habe. Federico Giuntini Antinori, Präsident des Consorzio aus der Rùfina (die von Cosimo neben dem Chianti ebenfalls für die Produktion des Qualitätsweins mitbezeichnet wurde, ebenso Carmignano und Vald’Arno di Sopra), behauptete denn auch, die „Identität“ des Weins sei für den Verbraucher eine entscheidende Größe. Und Master of Wine Barbara Philip formuliert es amerikanisch-pragmatisch, wenn sie sagt, dass dortige Kunden mehr bezahlen, wenn es hinter dem Wein (eine) Geschichte gibt: „People want to feel it.“
Luca Sanjust, Präsident des Consorzio Vald‘Arno di Sopra, sah die Weine aus den vier genannten Herkunftsgebieten gar als „Teil der nationalen Identität“ – was aber nicht gewürdigt würde, da man das Jubiläum eben bloß auf lokaler Ebene feierte, während etwas Vergleichbares in Frankreich zum nationalen Feiertag erhoben würde, wie er monierte.
China als Herausforderung und Chance
Nach vorne schauen, so schien das Mantra zu lauten. Und dass es auch am Geld nicht scheitern sollte, sollte wohl die Anwesenheit des Präsidenten der ChiantiBanca, Lorenzo Bini Smaghi, verdeutlichen, der den meisten gleichwohl als ehemaliges Direktoriumsmitglied einer anderen Bank besser bekannt sein dürfte: der Europäischen Zentralbank.
Nach vorne schauen und die Chancen nutzen, die sich bieten, war auch die Nachricht, die Manfredi Minutelli aussandte. Minutelli ist Business Development Manager bei Alibaba. Alibaba wird gerne als Amazon Chinas bezeichnet und setzt bisweilen mehrere Milliarden am Tag mit den Produkten von Händlern um, die die Plattform als Marktplatz im Reich der Mitte nutzen.
Der Vertreter des chinesischen Unternehmens fing zwar mit einer ernüchternden Bilanz an: Während 55 Prozent des in der Volksrepublik verkauften Rotweins aus Frankreich stammten, stünde Italien gerade einmal mit mageren sechs Prozent da. Optimistisch zeigt er sich jedoch, da er ein Aufholen des gewaltigen Abstandes zu den französischen Nachbarn als kurzfristig möglich bezeichnete. Und auch hier wurde wieder das Mantra des Storytelling als Marketingstrategie hochgehalten, indem der Manager ausführte, dass Chinesen es lieben würden, Wissen über Wein zu erwerben, über das Terroir und die Unterschiede zwischen den Erzeugnissen und Erzeugern.
Die Champagne als „best practice“
Beim Wein von den Franzosen lernen, heißt siegen lernen, scheint man geschlussfolgert zu haben. Jedenfalls schütteln sich als besonderer Clou des Tages Sergio Zingarelli, Consorzio-Präsident des Chianti Classico, und Vincent Perrin, Vorsitzender des Komitees für den Wein der Champagne, die Hände. Zusammenarbeit wird angekündigt, auch wenn deren genaue Definition noch aussteht. Aber zur Bearbeitung der Frage, wie man bei aller würdigen Konkurrenz das eigene Produkt als unverwechselbare Marke platziert und damit hohe Preise durchsetzen kann, hat man sicherlich ein geeignetes Vorbild gewählt.
(siehe auch Der Weinort Panzano in Chianti)