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Albanien getrocknete Tomaten

Albanien: Über allen Reben ist Ruh

Der Autoverkehr in Albanien ist gewöhnungsbedürftig. Auf den Weingütern findet man die nötige Entschleunigung. Und mitunter phantastisches Essen.

Reben Blumen
Albanien: Licht, Wärme. Und Reben.

Mal wieder fließt der Verkehr auf der Fernstraße nur sehr zäh. Dann ein kompletter Tritt auf die Bremse. Denn ein Lastwagen schiebt sich von rechts auf die Vorfahrtstraße. Natürlich lässt man ihn gewähren. Vielleicht auch, weil man ein Herz für Berufsfahrer hat. Vor allem aber, weil er schwerer ist. Noch etwas forscher geht das Mercedes-Coupé vor. Der Fahrer dieser Marke, der man in Albanien eine eingebaute Vorfahrt nachsagt, schiebt sich im Windschatten des LKW an diesem vorbei. Und zwar, indem er die Abfahrtsspur als Auffahrtmöglichkeit nutzt.

Mehr als ein Weingut: Mrizi i Zanave
Albanien Mrizi i Zanave Restaurant Unterkunft
Erhabene Qualität: Mrizi i Zanave.

Schnell wird klar: Für einen Roadtrip ist Albanien nichts. Stundenlang entspannt über endlosen Asphalt surren und dabei die eigene Musiksammlung durchhören– wer das mag, sollte lieber auf die klassischen Highways in Kalifornien ausweichen. Hier gilt es dagegen, jenseits der Straße Orte der Entschleunigung zu suchen. Ideal bietet sich dafür Mrizi i Zanave im Norden des Landes an. Nüchtern betrachtet könnte man diesen Anlaufpunkt beim Örtchen Fishtë als Feinkostbetrieb mit angeschlossenem Restaurant bezeichnen. Etwas weniger sachlich als Märchenwelt für gutes Essen und Trinken. Allein die Farben, Formen und Größen der Tomaten, die um das Agroturizëm herum angebaut werden, sind Legion. Und gleichzeitig ein Leitmotiv. Einige trocknen, in Streifen geschnitten, in der flirrenden Sommerhitze. Schwarze, gelbe, rote bilden mit etwas Ziegenfrischkäse, Pesto und Basilikum den ersten köstlichen Happen im Restaurant. Und auch wenn die zahlreichen weiteren handwerklich bereiteten Vorspeisen auf dem Tisch stehen, darf ein kleines Holzkistchen mit dem Nachtschattengewächs nicht fehlen.

Langsames Essen, hohe Geschäftigkeit
Albanien Mrizi i Zanave Restaurant
Küche, Restaurant, Landwirtschaft – in absteigender Reihenfolge.

Am Fuß des Hügels, auf dem in mittlerer Höhe das Restaurant und ganz oben noch eine Unterkunft prangen, findet sich eine aus weißen Kieseln geformte Schnecke im Gras. Auf die Frage, ob das eine Anerkennung des Betriebes durch die Slow-Food-Bewegung sei, antwortet Inhaber Altin Prenga: „Ich bin der Gründer von Slow Food in Albanien.“ Die Entschleunigung der Gäste treibt ihm, der den Betrieb zusammen mit seinem Bruder Anton leitet, dagegen wortwörtlich den Schweiß auf die Stirn. Nicht nur der sommerlichen Hitze wegen. Landwirtschaft, Käserei, Weingut, Restaurant, Laden, Unterkunft, 90 Angestellte, 800 Gäste pro Tag: Da kommt einiges zusammen. Trotzdem lassen den Chef auch Details wie ein frisch eingegangener negativer Kommentar auf einem Bewertungsportal nicht kalt: Ein „extra eineinhalb Stunden angereister“ Gast hatte keinen Platz bekommen. „Was soll ich machen, wenn alle Tische reserviert sind?“ Zwei Säle gibt es drinnen, zwei Terrassen draußen: alles besetzt. Manche kommen selbst aus Montenegro herüber. Luftlinie nicht besonders weit, an der Grenze kann es aber schon mal dauern. Und dann war da ja noch der Straßenverkehr.

Albanien: Phantastisches Obst und Gemüse
Albanien getrocknete Tomaten
Mrizi i Zanave: Tomaten beim Trocknen.

Bereits das Begrüßungsgetränk, Granatapfelsaft mit ein paar Eiswürfeln, spiegelt die gesamte Idee hinter Mrizi i Zanave, was in etwa Fee und Schatten bedeutet, wider: Es macht zwar Mühe, solch widerspenstiges Obst in einen verzehrbaren Zustand zu versetzen. Aber beim ersten Schluck des wahnsinnig erfrischenden und appetitanregenden Saftes weiß man, es lohnt sich. Den Gästen, die in Strömen kommen, um wieder zu erfahren, wie handwerklich bereiteter Käse schmeckt und auf Holzfeuer gebackene und gebratene Speisen, wissen das Konzept offensichtlich zu schätzen: Die Qualität der Produkte steht hier im Fokus, weniger deren komplizierte Verarbeitung. Was nicht selbst angebaut wird, kauft man im nahen Umfeld bei kleinen Herstellern zu.

Wein und Käse in Gefängnismauern
Albanien Käse handwerklich
Käse in gut: Holzbütten von Mrizi i Zanave.

Geht man vom Restaurant weg und an den Weinreben vorbei, wird es schon ruhiger. Da ist nur ein Bauer, der gerade den Hang mühsam auf dem Moped hinauffährt, eine Milchkanne balancierend. Natürlich wechselt Altin, der den notorischen „quadratischen, weißen, geschmacklosen“ Industriekäse überwinden möchte, ein paar Worte mit ihm. Auch mit der Angestellten, die gerade an den Glasballons vorbeiläuft, in denen Zapfen verschiedener Bäume in Alkohol und Zucker eingelegt in der Sonne stehen. Das auf einer weiteren Kuppe gelegene rahmenförmige Gebäude mit großem Innenhof dient zum einen als Käserei. Hier wird wieder auf aromatische Kulturen, langsame Reifung, Holzbütten gesetzt. Zum anderen ist in dem ehemaligen Gefängnis das Weingut untergebracht. Als die Tür zugeht, kann Altin endlich etwas runterkühlen. Nicht nur wegen der Klimaanlage, die die Weine vor der Hitze schützt – ein in den Boden gegrabener Neubau entsteht gerade. Hier ist es ruhig, geordnet, die Flaschen reifen hübsch aufgestapelt in Holzregalen. Auch bei den Etiketten findet sich der Wille wieder, Traditionelles modern aufzubereiten. Etwa indem mit wenigen Federstrichen auf dem Gêg – fröhlich – genannten Rotwein ein Mann im Schneidersitz dargestellt wird. Der leicht schräggelegte Kopf ist auf einen breiten Schnurrbart und die Qeleshe genannte Filzkappe reduziert.

Eleganter Rotwein
Albanien Rotwein Gêg Mrizi i Zanave
Modernes Etikett, moderner Weinstil.

Gekeltert wird der Gêg aus Kallmet, eine der drei bedeutenden albanischen Rebsorten. Der ausgeschenkte 2019er ist der erste Jahrgang von Mrizi i Zanave überhaupt. Dem Glas entsteigt ein Duft von mediterranen Kräutern, dunklen Beeren und etwas Rauchfleisch. Am Gaumen dann Sauerkirsche und Johannisbeeren, eine balancierende Säure und ein straffes, gleichwohl unaufdringliches Tannin – unverkennbar der „Superior“-Wein des Hauses. Doch auch der aus 5-Liter-Flaschen ohne Etikett ausgeschenkte weiße Hauswein ist sehr empfehlenswert: Keine aufdringliche Fruchtigkeit, angenehme Frische, mineralische Seite. Easy-drinking im guten Sinne!

Weingut Kallmet

Ganz dem Kallmet verschrieben hat sich Gjoke Gjini. Kein Wunder, möchte man meinen. Schließlich steht sein Weingut im benachbarten Ort Kallmet. Und der Name des Weinguts lautet – Kallmet. Ganz so klar wie es scheint war die Sache allerdings nicht immer. Als der Kommunismus Anfang der 1990er Jahre endete, waren viele Weinberge bereits brachgefallen. Gjoke wurde der erste demokratisch gewählte Bürgermeister des kleinen Ortes, später arbeitete er für internationale Bauprojekte in den Balkanstaaten. Als der Boden für das Weingutprojekt geebnet schien, kamen 1997 die großen Unruhen im Land dazwischen. Doch irgendwann war es dann soweit: „Mein in Italien lebender Bruder warf seine Ersparnisse mit meinen zusammen.“ Die ersten Reben konnten gepflanzt werden. (weiter auf Seite 2)

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