Wie man beim Bummel durch Beirut einen Jungwinzer kennenlernt
Wir meinten am Abend unserer Ankunft im Libanon einen Paradis de Qaviafar getrunken zu haben, eine schöne Cuvée aus Cabernet Sauvignon und Merlot von 2013 , die vielleicht immer noch etwas reifen könnte. Am Tag darauf merkten wir, Qaviar klingt zwar gut, doch es heißt Qanafar und wir schieben natürlich alles auf das handgeschriebene Etikett! Aber wir waren sofort neugierig, mehr von den kleineren der insgesamt rund 50 Weingüter des kleinen Landes in der Levante mitzubekommen.
ZAWYA – Weinladen für kleine und mittelgroße Weingüter in Beirut
Da hat ein kleiner Weinladen in Mar Mikael aufgemacht, dem armenisch geprägten Viertel, hören wir von dem Beirut-Experten unseres Vertrauens. Also lassen wir einen Bummel durch die Straßen von Beirut am späten Nachmittag dort enden. Es ist ein kleiner Eckladen in der Patriarch Arida Street. ZAWYA steht in großen schwarzen Lettern auf der gläsernen Eingangstür. Wir treten ein. Drinnen ist es angenehm kühl, die Klimaanlage arbeitet, auch wenn zwischendrin mal der Strom ausfällt, aber außer uns selbst zuckt dabei keiner mit der Wimper.
Maher Harb, der den Laden betreut, freut sich sichtlich über unseren Besuch, sofort werden Flaschen entkorkt – nein, den Qanafar kennen wir schon! Gut, dann einen von Aurora, ein kleines Weingut bei Batroun, nordöstlich von Beirut und in der Nähe des von der UNESCO als Weltkulturerbe (wegen mehrerer frühchristlicher Klöster) eingestuften Qadisha-Tals. Maher spricht Englisch mit uns, ab und zu fällt man aber über einen Begriff – Château Belle-Vue etwa, den nächsten Wein – ins Französische und macht da einfach weiter. Er hat in Paris seinen Master in Weinmanagement gemacht und ist rumgekommen in der Welt, gerade kommt er aus Ungarn. Wie wir den Château Belle-Vue „La Renaissance“ von 2009 finden? Ja, richtig, der Wein, wir waren abgelenkt vom Gespräch und dem schönen Ladenlokal. Das immer mal wieder bemühte Schlagwort von Beirut als dem Paris des Nahen Ostens ist zwar anachronistisch, aber dieses Geschäft erinnert schon ein wenig an die kleinen geschmackvollen Läden der französischen Hauptstadt, die den Spagat zwischen Nostalgie und modernem reduzierten Auftritt gut hinbekommen.
Im Libanon Winzer: Château Qanafar, Aurora, Château Belle-Vue
Also, der Wein, – wir nippen noch einmal –, gut finden wir den! Dicht und mit einer samtigen Struktur. Dann wollen wir mal den älteren Jahrgang versuchen, sagt Maher und gießt den Château Belle-Vue „Le Château“ von 2008 ein. Den finden wir noch besser, insbesondere nach einigem Schwenken öffnet er sich bereits sehr schön. ZAWYA hat es sich zur Aufgabe gemacht, kleine bis mittelgroße, ausschließlich libanesische Weingüter zu vertreiben. Ungefähr ein dutzend haben sie momentan im Angebot. Sehr schön, denn im Supermarkt findet man die wohl kaum. Und wir möchten eben auch mehr kennen lernen als den überall beworbenen Château Ksara; aber die einzelnen kleinen Weingüter anzufahren ist extrem mühsam. (Näheres dazu im Blogbeitrag Weingüter im Libanon) Also eine gute Adresse, um zentral in der Hauptstadt einige Weingüter durchzukosten, natürlich etwas zu kaufen und im Anschluss immer noch entscheiden zu können, ob man im Libanon Winzer besuchen möchte und wenn ja, welche.
Maher Harb, Weinhändler und im Libanon Winzer
Ich mache übrigens selbst auch Wein, sagt Maher ziemlich unvermittelt. Ach so? Wir sind überrascht. Ein Händler, der auch selber keltert, und na ja, Weinmanager, was ist das überhaupt? Maher lächelt. Ja, das sei eben ein Oberbegriff, weil sie verschiedene Schwerpunkte im Studium durchgenommen hätten, so etwa Geschäftsführung, Marketing, Sommelierkenntnisse. Wir könnten ihn gerne am Wochenende besuchen, dann sei er in den Bergen bei seinen Reben. Ein halber Hektar sei es, alles sehr übersichtlich, und: Wir könnten seinen allerersten Wein verkosten, denn er habe letztes Jahr zum ersten Mal gekeltert und wir seien eine der ersten, die davon probieren könnten.
Zwei Tage später betreten wir Mahers Vorgarten. Es ist heiß, die Fahrerei war anstrengend, die Beschilderung schlecht bis inexistent, aber immerhin waren die GPS-Standortdaten, die er uns geschickt hat, hilfreich. Der vierunddreißigjährige Neuwinzer sitzt vor seinem Häuschen in den Bergen, der Blick geht ins Tal. Zurück wird es einfacher gehen, will man ans Meer und nach Beirut, muss man grundsätzlich bergab und der Sonne im Westen entgegenfahren. Jedenfalls tut der Mokka gut, den er uns kocht, schwarz und kräftig ist er, erdig, und etwas bitter.
Obeidy, eine wichtige autochthone Rebsorte des Landes
Der Weißwein, den Maher einschenkt, ist ein sortenreiner Obeidy, eine autochthone Sorte. Maher baut nur rote Sorten an, die Trauben hat er von einem Weinbauern aus der Bekaa-Ebene zugekauft. Aber es handelt sich eben nicht um einen etablierten Betrieb, in dem die Abläufe stehen und die Trauben just-in-time angeliefert werden und von oben in die Presse fallen. Seinen Keller möchte er uns nicht so gerne zeigen, denn das sei eigentlich ein Lagerraum, sagt er lachend. Gut, sagen wir, Garagenweine sind schließlich in!, ohne aber zu insistieren. Wie schmeckt Obeidy? Nun, für einen generellen Eindruck fehlt uns noch der Vergleich, aber dieser hier hat florale Noten, am Gaumen etwas Apfel und eine Spur Eisbonbon. Säure und Restsüße gleichen sich aus. Nicht schlecht, finden wir, vor allem angesichts der widrigen Produktionsumstände. Sein Weißwein solle unkompliziert sein, findet Maher. Und Obeidy mag er, das sei typisch Libanon und er sei ein großer Fan von Wine Mosaic, einer Organisation, die sich gegen das Vergessen derjenigen Rebsorten aus dem Mittelmeerraum einsetzt, die eben keine Blockbuster sind. Dass er auch Riesling toll findet und selber irgendwann einmal welchen pflanzen wolle, passt dazu vielleicht nicht perfekt.
Eis für die temperaturkontrollierte Vergärung?
Der erste Rotwein, den er uns einschenkt, ist eine Cuvée aus Cabernet Sauvignon und Grenache. Der Wein riecht so, wie wenn man eine offene Flasche schon ein paar Tage rumstehen hat: oxidiert. Auch wenn die Textur des Weins und einzelne Fruchtaromen darunter durchaus von einer anderen Ebene künden – der Weinfehler ist zu stark, als dass man ihn ausblenden könnte. Tja, temperaturkontrollierte Vergärung hätte er nicht leisten können, erklärt Maher. Er habe zwar einige gefrorene Wasserflaschen in den Gärbottich getaucht, aber das sei ein Eiswürfel auf den heißen Stein gewesen. Für den nächsten Durchgang wolle er aber unbedingt in verbesserte Kellertechnik investieren.
Sortieren des Leseguts im Licht der Scheinwerfer
Er gießt den nächsten Roten ein, einen sortenreinen Syrah. Auch bei diesem meldet die Nase eine oxidative Note, aber nur minimal, am Gaumen ist diese gut erträglich. Hier wird das Potential des Weins schön deutlich: Eine gewisse Phenolik gefällt uns gut, dunkle Frucht, Körper und angenehme Tannine. Wie findest du den?, fragt er gespannt. Wirklich gut!, sind wir froh, sagen zu können, denn noch mehr Weine gibt es nicht. Wie hast du das Problem mit der zu schnellen Vergärung und Oxidation bei dem Syrah in den Griff bekommen?, wollen wir wissen. Nun, sagt Maher, dazu muss ich eine kleine Geschichte erzählen: Einen Teil der Trauben habe ich zugekauft. Eine halbe Tonne, die kamen abends an, aber nicht hier, sondern in Beirut. Die Hälfte war kaputt, Hagelschaden! Zusammen mit einem Freund habe ich die Fracht auf zwei PKWs verteilt und hierher gefahren. Als wir ankamen, fiel der Strom aus. Beim Schein der Auto-Scheinwerfer haben wir bis vier Uhr morgens sortiert, 300 Kilogramm waren dann übrig. Und warum die oxidativen Noten hier weitgehend fehlen?, wollen wir wissen. Nun, es war Oktober, erklärt er, und nach einem Wetterumschwung waren die Temperaturen stark gefallen!
„Sieben“ soll das Weingut heißen
Natürliche Kühlung also, die bei der langsamen Vergärung geholfen hat. Natürlich schön, wenn Wein auch so viel von der Geschichte der Lese und Vergärung erzählt. Aber natürlich möchte man qualitativ eben doch ein planbares Ergebnis und da wird man um das erweiterte Equipment nicht herumkommen. Und anscheinend ist die Planung dahingehend schon sehr konkret, jedenfalls kündet ein planiertes Stück neben den etwas weiter oben am Berg gelegen Reben von dem Vorhaben, eine richtige Kellerei zu errichten. In den beiden tieferen Löchern soll im Schutz der Erde der fertige Wein lagern. Auch einen Namen für sein Weingut hat Maher sich schon überlegt: 7. Eine Zahl, die viel mit seinem Leben zu tun habe und die er in römischen Ziffern eintätowiert trägt. Sieben Jahre alt sei er gewesen, als sein Vater in den letzten Tagen des Bürgerkriegs starb. Immer wieder habe die Zahl in seinem Leben eine Rolle gespielt. Und auch sein Weinberg hat sieben Parzellen, ohne dass das beabsichtigt gewesen wäre.
Wunderschön ist es hier oben, es wird gerade Abend, das Licht fällt endlich weich auf die Rebblätter, die Trockensteinmauern, die Olivenbäume. Der Blick geht der Sonne entgegen, die sich langsam in den Dunst über dem Mittelmeer senkt. Ob wir wohl noch einmal wiederkommen, wenn der Keller fertig und der Wein so ist, wie er könnte? Wir wissen es nicht, wir hoffen es aber. Ganz sicher aber sind wir froh, in diesem Moment da zu sein, den ersten Wein, der nie perfekt sein kann, probiert zu haben. Zu sehen, wie ein Weingut entsteht. Und mitzuerleben, wie ein junger motivierter Mann einfach sagt: Das will ich machen – und damit anfängt.