Kaum jemand kauft hierzulande noch direkt beim Winzer ein. Womöglich wegen der Vorstellung, sich in einem antiquierten Verkostungsraum vollquatschen lassen zu müssen. Dabei hat sich so viel geändert!
Look and Feel ist bei Computerprogrammen und Webseiten eine elementare Eigenschaft. Das komplexe System dahinter zu verstehen ist für den Anwender unnötig, er will sich zügig auf der Oberfläche zurechtfinden und das ohne Bedienungsanleitung umsetzen können, was ihm besonders wichtig ist. Wenn das gelingt, fühlt man sich wohl. Wohldurchdachtes Design ist also nicht nur etwas fürs Auge, sondern verschafft durch die komfortable Bedienung auch Wohlbefinden. Was das mit Wein zu tun hat? Sehr viel. Der Verkostungsraum ist nämlich sozusagen die Benutzeroberfläche des Weinguts.
Das Bewusstsein bestimmt den Wein
Wer beim Winzer in den Verkaufs- und Verkostungsraum eintritt, sollte das Gefühl haben: Hier bin ich gerne. Und ich kann mich orientieren. Ob es sich dabei um einen Kunden handelt, der alle Rebsorten in alphabetischer Reihenfolge aufsagen kann oder die Weinwelt lediglich in rot und weiß aufteilt, ist unerheblich. Der Verkostungsraum ist der Showroom des Winzers. Hier wird der Rahmen abgesteckt, in dem der Wein eingeordnet wird. Großzügig oder beengt, modern oder piefig, steril oder atmosphärisch – das beeinflusst die Erwartung an das Produkt. Daher sollte der Verkostungsraum unbedingt schick genug sein. Das buchstabiert sich heute mit materialbetont, übersichtlich, elegant.
Der Verkostungsraum ist des Winzers Chance
Der Trend bei den Einkaufsstätten der Deutschen ist klar, wenn es um Wein geht. Discounter und Lebensmitteleinzelhandel führen, alles andere ist weit abgeschlagen. Auch der Direktkauf beim Winzer. So steht es Jahr für Jahr wieder in der Statistik des Deutschen Weininstituts (siehe dazu Weinstatistik 2018/19). Woran das liegt, steht natürlich nicht in der Erhebung. Nähe, Sortiment, Unverbindlichkeit mag für den Weinkauf im Lebensmittelhandel eine Rolle spielen. Mit Look and Feel ist es in Weinabteilungen deutscher Supermärkte aber meistens nicht weit her. Bei den Discountern erst recht nicht, auch wenn einige daran arbeiten, dort so etwas wie Ambiente entstehen zu lassen. Gerade hier sollten die Winzer doch punkten können. Sind die Probierstuben in deutschen Weingütern ästhetisch auf der Höhe der Zeit?
Wein, in Szene gesetzt
Die Antwort lautet: ja! Zumindest in immer größerer Zahl ist dies der Fall. Die Zeiten, in denen der Probier- und Verkaufsraum in einem Weingut mit Eiche rustikal ausgekleidet und das dekorative Highlight ein ausrangiertes Weinfass als Stehtisch darstellte, gehören immer mehr der Vergangenheit an. Der heutige Winzer begreift, dass Wein nicht nur das ist, was er mit viel Leidenschaft herstellt. Sondern dass es auch ein Lifestyle-Produkt ist, bei dem das Drumherum ebenfalls zählt. Um dem Kunden dafür den geeigneten Rahmen zu bieten, tut es die traditionelle Probierstube einfach nicht mehr. Ein raffiniert gemachtes Menü isst man ja auch nicht an der Imbissbude.
Wie sieht der moderne Verkostungsraum aus?
Es ist ein Ruck durch Deutschland gegangen. In immer mehr Weingütern findet man einen neu gemachten Verkaufs- und Verkostungsraum. Was alle diese Räume gemeinsam haben, ist ein modernes Erscheinungsbild. Und es gibt einige Elemente, die sich immer wieder finden, hier eine Auswahl:
- Der Tresen. Hier kommt man in Kontakt mit dem Winzer. Wenn man will. Sonst kann man sich auch etwas zurückziehen, seinen Wein in Ruhe beschnüffeln. Und wiederkommen, wenn man bereit ist für den nächsten. Nähe und Distanz – die Balance aus beiden ist wichtig.
- Die Materialien. Wein ist ein Naturprodukt. Daran erinnert man gerne mit natürlichen Materialien im Verkostungsraum. Holz ist sehr beliebt. Naturstein auch, gerne identisch mit dem vor Ort vorkommenden Gestein. Sieht außerdem hübsch aus.
- Der Ausblick. Wer hat schon gern das Gefühl, in einem Bunker zu sein? In dem allenfalls etwas gedämpftes Licht durch ein Butzenglasfenster kriecht? Daher: Ein- und Ausblicke schaffen ist wichtig. Zum Beispiel in das Barriquelager. Oder auf den Weinberg. In die Garage sicher eher nicht.
- Die Beleuchtung. Einfach hell machen reicht nicht. Eigentlich muss ein Lichtkonzept her. Das ist freilich noch eher selten der Fall. Optisch ansprechende Leuchten sind aber schon sehr verbreitet. Weiter so!
- Weniger ist mehr. Zum Look and Feel gehört eben auch der Eindruck, alles im Blick zu haben. Und damit sozusagen die Kontrolle. Wenige Flaschen, sauber aufgestellt, ausreichend Platz dazwischen. So werden aus bloßen Gebinden ansprechende Objekte.
Sollten Sie noch nie oder lange nicht direkt in einem Weingut probiert und eingekauft haben: Es hat sich viel getan. Probieren Sie es aus. Look and Feel!
2 Kommentare
Sehr verehrter Herr Franz,
ein paar Vorschlaege von Riesling Spaetlese Auslese und Beeerenauslese bis Trockenbeerenauslese aus den Gegenden Rheingau Mosel oder Rheinhessen haette ich gerne von Ihhnen bekommen. Ich war 10 Jahre in Deutschland und habe da studiert und geartbeitet. Gute Riesling in China zu bekommen ist sehr schwer.
Ich verweise gerne auf ein paar Blog-Beiträge, in denen auch konkrete Weine empfohlen werden, die Ihrer Nachfrage entsprechen könnten:
https://weinsprech.de/offene-keller-mosel-2018
https://weinsprech.de/offene-keller-mosel-nahe
Eventuell finden Sie dort schon etwas.
Vielleicht kommen noch mehr Anregungen von anderen Lesern?